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24 AUGUST 2023

Prof. Caspar Hirschi, «Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik in den jüngsten Krisen der Schweiz»

Vortrag zum Thema «Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik in den jüngsten Krisen der Schweiz»

Caspar Hirschi, der Sohn unseres Kiwanis Freundes Werner Hirschi und Professor an der Universität St. Gallen hat uns und unseren Partnerinnen die aktuelle Problematik, wie Krisen in der Schweiz bewältigt werden sehr anschaulich präsentiert. Er hat mit einem Zitat von Walter Turnheer, Bundeskanzler, der kürzlich seinen Rücktritt auf Ende 2023 bekannt gegeben, begonnen: «Es sind Welten aufeinander geprallt, die sich vorher nicht gekannt haben.» Er hat damit das Zusammentreffen von Politik und Wissenschaft in der Corona-Krise gemeint.

Dies war nicht immer so. Im 19. Jahrhundert waren die Wissenschaft und die Politik im jungen Bundesstaat sehr eng miteinander verflochten. Der liberale Staat wurde von jungen Wissenschaftern mit gegründet, indem sie an der Bundesverfassung mitgeschrieben haben. Die ETH war keine Universität, sondern ein Polytechnikum, das mitgeholfen hat, die moderne Schweiz zu bauen. Dadurch dass es keine eidgenössische Universität war, wurde das Dilemma vermieden, zu entscheiden, welche Richtung in der Theologie hätte vertreten werden sollen. Dies hätte unweigerlich zu Konflikten mit den katholischen Kantonen geführt.

Caspar Hirschi zeigte ein Bild von 1946 als auf dem Jungfraujoch die neue Forschungsstation eingeweiht worden war, auf dem Politiker und Wissenschafter gemeinsam zu sehen sind. Die Verbindung war damals sehr eng. Viele Wissenschafter waren im Nationalen Parlament.

Ab 1989 sind Politik und Wissenschaft auseinander gedriftet. Der Bund blieb gleich wie vorher. Die Wissenschaft hat sich globalisiert. Die Wissenschafter waren vermehrt in vielen Ländern tätig. Der Fokus hat sich von der Schweiz weg bewegt. Die Zahl der Wissenschafter im Parlament hat stark abgenommen. Felix Gutzwiler war als Präventivmediziner lange Jahre Ständerat von Zürich.

In der Staatsschuldenkrise von 2008 wurde die Politik durch die Wissenschaft verdrängt. In Griechenland und Italien wurden die gewählten Politiker durch Ökonomen ersetzt. Mit Christine Lagarde, damals Direktorin des Internationalen Währungsfonds und Mario Draghi, damals Präsident der Europäischen Zentralbank haben Fachexperten zusammen mit dem Präsidenten der EU-Kommission das Szepter übernommen.

In der Schweiz hat sich etwas ähnliches abgespielt. Im Nachgang zum Untergang der Swissair haben Vertreter der Schweizerischen Nationalbank, der Bankenkommission und aus dem Finanzdepartement einen Plan zur Rettung der Grossbanken ausgearbeitet, den Plan Pink und den Plan Rose. Damit keine Gerüchte am Finanzmarkt entstehen konnten, wurde der Plan unter grösster Geheimhaltung entwickelt. Nur der Vorsteher des Finanzdepartements, damals Hans-Rudolf Merz wurde darüber informiert und ihm wurde untersagt, den Gesamtbundesrat darüber zu informieren. Dies hat alt-Bundesrat Merz in ein grosses Dilemma gestürzt. Einerseits war er als ehemaliger Mitarbeiter mit der UBS verbunden, andererseits war er als liberaler Geist der Überzeugung, dass auch Banken in Konkurs gehen müssen. Wenn dies nicht geschieht, dann werden falsche Anreize gesetzt, noch grössere Risiken einzugehen. Als nun die UBS-Krise eingetreten ist, wurde Bundesrat Merz telefonisch darüber informiert, dass er gemäss dem Plan beim Gesamtbundesrat einen Rettungsschirm von 70 Mrd. Franken beantragen muss. Dies hat bei ihm einen so grossen Schock ausgelöst, dass er einen Herzinfarkt erlitten hat. Seine Stellvertreterin Bundesrätin Schlumpf hat dann den Plan durch den Bundesrat gebracht. Damit wurde ein kurzfristiges Risiko bewältigt und die Schweiz hat sich ein langfristiges Risiko eingehandelt.

In der Corona-Pandemie waren die Experten in den Medien präsent, die Politik hat aber alle Entscheide selbst getroffen. Die Bevölkerung musste ihr Verhalten ändern, dies hat zu viel grösseren Spannungen in der Bevölkerung geführt als die UBS-Rettung. Es gab auch Konflikte zwischen der Verwaltung, der Wissenschaft, den Kantonen und dem Bund. Die Konflikte wurden teilweise über die Medien ausgetragen. Teilweise wurde die Verantwortung auf der zuständigen Ebene nicht wahrgenommen. Die Pandemie hat zu einer Polarisierung in der Bevölkerung geführt. Bundesrat Berset und seine Familie wurden bedroht und mussten unter ständigen Polizeischutz gestellt werden.

Konklusion: Die gegenwärtigen Krisen brauchen zwingend eine enge Zusammenarbeit zwischen der Politik und der Wissenschaft. Es müssen neue Strukturen für die Zusammenarbeit auch auf kantonaler Ebene geschaffen werden. Die Wissenschaft entwickelt Szenarien und schlägt Massnahmen vor, die Politik muss darüber entscheiden, welche Massnahmen getroffen werden.

In der Diskussion weist Irène Thomann darauf hin, dass in den 90iger Jahren die bewährten Krisenstäbe auf Bundesebene abgeschafft worden sind. In den Krisenstäben waren alle Departemente, die Wissenschaft und auch die Sicherheitsorgane vertreten. In klassischer Stabsarbeit wurden Szenarien entwickelt und der Politik Massnahmen vorgeschlagen. In der Corona-Pandemie wurde der Pandemiestab gar nicht einberufen und das BAG hat allein den Lead übernehmen. Die anderen Departemente wurden zu wenig mit einbezogen.

KF Peter Rubin weist darauf hin, dass in den 90iger Jahren im Kanton Zürich die Bezirksführungsstäbe aufgelöst worden sind. Darin waren unter der Leitung des Statthalters Wissenschafter, Gemeindepolitiker und die Blaulichtorganisationen vertreten. Die Zusammenarbeit wurde regelmässig geübt.

Bei einem guten Nachtessen und angeregten Diskussionen über das Gehörte verbrachten wir einen schönen Abend.